Ratgeber Barrierefreiheitsstärkungsgesetz: Betrifft es mein Business?
Ab dem 28.06.2025 verpflichtet das Barrierefreiheitsgesetz viele Unternehmen, ihre digitalen Angebote anzupassen. Ziel ist ein gleichberechtigter Zugang für alle, insbesondere für Menschen mit Behinderungen.
Was ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) wurde im Jahr 2021 beschlossen und tritt am 28. Juni 2025 in Kraft. Es setzt eine EU-Vorgabe um und sorgt dafür, dass digitale Produkte und Dienstleistungen für alle Menschen zugänglich sein müssen.
Das Gesetz gilt zum Beispiel für:
- Webseiten,
- Online-Shops,
- Apps,
- E-Books,
- Software,
- andere digitale Angebote.
Ziel ist es, dass diese Angebote ohne große Hürden nutzbar sind. Das betrifft unter anderem Menschen mit Sehbehinderungen, Hörbehinderungen, körperlichen oder geistigen Einschränkungen oder ältere Menschen mit altersbedingten Schwierigkeiten. Auch Menschen mit kognitiven Schwierigkeiten oder geringen Deutschkenntnissen sollen durch das Gesetz besseren Zugang bekommen.
Für viele Unternehmen wird die Barrierefreiheit dadurch zum ersten Mal Pflicht. Sie ist damit nicht nur ein soziales Thema, sondern auch eine rechtliche Anforderung und ein wichtiger Wettbewerbsfaktor.
Für welche Unternehmen gilt das BFSG?
Das Gesetz gilt für Unternehmen, die im digitalen Raum bestimmte Produkte oder Dienstleistungen für Endkunden anbieten.
Verpflichtet sind insbesondere:
- Online-Shops und E-Commerce-Anbieter,
- Telekommunikationsdienste,
- Banken und Finanzdienstleister,
- Anbieter von E-Books und Lesesoftware,
- Fahrkartenautomaten und ähnliche Selbstbedienungsterminals,
- Computer Hardware- und Softwareanbieter,
- Anbieter von Apps und mobilen Diensten.
Ausnahmen für Kleinstunternehmen
Kleinstunternehmen sind von der Umsetzungspflicht befreit, wenn sie ausschließlich Dienstleistungen anbieten, das heißt: Sie haben weniger als zehn Beschäftige und/oder der Jahresumsatz liegt unter 2 Millionen Euro.
Achtung: Diese Ausnahme gilt nicht für Unternehmen, die Produkte bereitstellen (zum Beispiel: Software, Hardware, Automaten), unabhängig von ihrer Größe.
Müssen Affiliates und Influencer das BFSG umsetzen?
Nach der aktuellen Rechtslage scheint das vom Umsatz und der Business-Struktur abzuhängen: Fast alle Affiliates und Influencer bewerben Produkte oder Dienstleistungen, die sich an Endkunden richten.
Die meisten Affiliates und Influencer haben jedoch ein Kleingewerbe, das unter die Ausnahmeregelung fällt. Nur Marketeers mit einem Jahresumsatz von 2 Millionen oder mit mehr als neun Angestellten scheinen das BFSG auf ihren Diensten umsetzen zu müssen.
Eine Rechtsberatung kann sich für Affiliates und Influencer dennoch lohnen. Dieser Ratgeber dient nur als Orientierung. Er kann keine verbindlichen Aussagen über Einzelfälle treffen.
Was genau muss umgesetzt werden?
Das Gesetz orientiert sich an internationalen Standards wie der EN 30 1 549 sowie den WCAG 2.1 AA (Web Content Accessibility Guidelines). Die Anforderungen betreffen Gestaltung und Technik.
Generell müssen über alle Anpassungen Nachweise geführt werden. Diese müssen auch den Endnutzern zugänglich gemacht werden. Auch muss es Ansprechpartner für Barrierefreiheit geben.
Regelungen für Webseiten und Online-Dienste
- Textalternativen für visuelle Inhalte: Bilder, Icons, Grafiken müssen beschreibende Alt-Texte haben.
- Tastaturbedienbarkeit: Die gesamte Seite muss ohne Maus steuerbar sein.
- Klare Navigationsstruktur: Ziele sind eine sinnvolle Überschriftenhierarchie sowie sprechende Links.
- Farbkontraste: Der Text muss auch bei Farbfehlsichtigkeit gut lesbar sein.
- Untertitel und Audiodeskription: Für Videos müssen barrierefreie Alternativen angeboten werden.
- Fehlermeldungen und Formulare: Diese müssen verständlich und für Screenreader zugänglich sein.
- Zoom- und Anpassungsmöglichkeiten: Texte und Oberflächen müssen skalierbar sein.
Empfohlen werden außerdem folgende Maßnahmen:
- Sprachvereinfachung: Textinhalte liegen in zwei Varianten vor. Die ursprüngliche sowie der gleiche Text in sogenannter
Leichter Sprache
. - Verzicht auf rein visuelle CAPTCHAs: Eine Alternative wäre zum Beispiel eine Audio-Variante.
Tools zur Prüfung der Webseiten und Online-Dienste:
- WAVE Accessibility Tool: Dieses Online-Tool zeigt direkt auf der Website an, wo Barrieren sind: zum Beispiel fehlende Bildbeschreibungen oder schlechte Kontraste. Es ist ideal für erste Checks.
- Google Lighthouse (eine Funktion im Chrome-Browser): Du kannst damit deine Website automatisch testen. Lighthouse prüft beispielsweise, ob die Seite mit der Tastatur bedienbar ist und ob Kontraste stimmen.
- Axe Accessibility Checker: Diese Browser-Erweiterung zeigt und erklärt Barrierefreiheits-Probleme. Sie ist nützlich für Entwickler, weil sie auch Lösungen vorschlägt.
Regelungen für Software und mobile Apps
- Benutzeroberflächen müssen barrierefrei nutzbar sein (etwa mit VoiceOver und TalkBack).
- Inhalte dürfen sich nicht ausschließlich über visuelle Hinweise erschließen.
- Updates und neue Funktionen müssen ebenso barrierefrei sein.
Regelungen für Selbstbedienungsterminals
Geräte wie Fahrkartenautomaten, Geldautomaten oder Check-in-Terminals müssen:
- Akustische und visuelle Rückmeldungen bieten.
- Tastbare Bedienelemente oder Sprachausgabe enthalten.
- Kontrastreiche und lesbare Displays einsetzen.
Umsetzung: So gehst du vor
- Bestandsaufnahme machen: Welche Produkte/Dienstleistungen sind betroffen?
- Barrierefreiheit prüfen: mit Tools, Nutzertests oder externen Audits.
- Gegebenenfalls externe Fachleute einbinden: Barrierefreiheit erfordert meist technisches Know-how.
- Anforderungen umsetzen: schrittweise nach WCAG-Standards und gesetzlichen Vorgaben.
- Dokumentation führen: für Nachweise gegenüber Behörden und Endkunden.
- Langfristig planen: Auch bei Relaunches oder neuen Angeboten stets an Barrierefreiheit denken.
- Kontinuierliche Recherche: Bis dato gibt es keine ausgewiesenen Beispiele seitens der Behörden. Kontinuierliche Recherche ist deshalb ein Muss.
Wann tritt das Gesetz in Kraft und welche Sanktionen drohen?
Das BFSG tritt am 28. Juni 2025 vollständig in Kraft. Ab diesem Zeit punkt müssen betroffene Unternehmen die gesetzlichen Anforderungen umgesetzt haben.
Es gibt mehrere Arten von Sanktionen. Diese umfassen:
- Bußgelder: Je nach Schwere des Verstoßes können Geldstrafen verhängt werden.
- Abmahnungen: Wettbewerber oder Verbände können Rechtsverstöße abmahnen.
- Verwaltungsmaßnahmen: Marktüberwachungsbehörden können Maßnahmen wie Verkaufsverbote oder Rückrufe anordnen.
Die Kontrolle erfolgt durch Marktüberwachungsstellen der Länder. Zudem können sich Betroffene an Verbraucher- oder Behindertenverbände wenden.
Den Unternehmen muss anschließend allerdings ausreichend Zeit gegeben werden, um die Kritikpunkte umzusetzen.
Problematisch: schwammige Rechtslage, keine konkreten Beispiele
Das Barrierefreiheitsgesetz ist bis zum Ende der Woche noch weitestgehend Theorie. Bis dato scheint es von Seiten des Gesetzesgebers keine ausgewiesenen Vorzeigebeispiele für rechtskonforme Anpassungen zu geben.
Ohne exemplarische Vorgaben können Webseiten- und App-Betreiber das Gesetz jedoch teils nur proaktiv interpretieren. Sie müssen Maßnahmen nach eigenem Gutdünken umsetzen sowie sich an den Webseiten der Konkurrenz orientieren.
Wenn du deine eigenen Produkte entsprechend anpassen möchtest, dann recherchiere Barrierefreiheit eigenständig. Dieser Ratgeber soll nur eine erste Orientierung bieten. Er ist kein allgemeingültiger Leitfaden. Lies dir das Gesetz durch. Schau dir verschiedene Umsetzungen an und überlege, was davon du selber implementieren kannst und musst.
Fazit: Herausforderungen und Chancen
Barrierefreiheit hilft dabei, mehr Menschen zu erreichen. Das sind zum Beispiel ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen. Viele öffentliche Aufträge und Förderprogramme setzen Barrierefreiheit heute schon voraus. Deshalb kann sich die Umsetzung auch wirtschaftlich lohnen.
Wie die Umsetzung von rechtlichen Instanzen bewertet werden wird, bleibt abzuwarten. Auch das Verbraucherfeedback steht noch aus. Unklar ist zudem, wie Google die Anpassungen langfristig bewertet und ob Kleingewerbe ohne Barrierefreiheitsmaßnahmen im SEO-Wettbewerb zurückfallen werden.
In den nächsten Wochen und Monaten wird sich diesbezüglich höchstwahrscheinlich viel tun. Es macht also Sinn, die Entwicklungen als Marketeer im Blick zu behalten.